Design Tip

Bei Spritzgussteilen an allen Ecken und Kanten sparen

Durch die richtige Platzierung von Eckradien und Abrundungen beim Spritzgussdesign lassen sich robuste, qualitativ hochwertige und kostengünstige Kunststoffteile herstellen.

Scharfe Ecken haben ihre Berechtigung. Ohne sie hätten wir keine Triangeln, alle Geburtstagskuchen wären rund und es wäre verdammt schwierig, ein Kaugummi von der Schuhsohle abzukratzen. Beim Spritzgießen von Kunststoffteilen können scharfe Ecken jedoch Probleme verursachen. Produktdesigner sollten daher die Tücken im Zusammenhang mit Ecken und Kanten kennen, wenn sie ihre Waren entwickeln. Denn ohne ausreichend abgerundete Ecken und Kanten leiden Genauigkeit sowie Stärke und Ästhetik des Teils. Glatte, abgerundete Kanten sind wichtig. Es gibt jedoch mehrere Faktoren, die sich selbst ein Teiledesign mit ausreichenden Radien auswirken können. Dazu gehören:

  • Werkstoffwahl. Manche Kunststoffe verzeihen scharfe Ecken mehr als andere. Die Auswahl des richtigen Kunststoffs für Ihre Anwendung ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu genauen und funktionsfähigen Teilen.
  • Wandstärke. Durch das Verstärken aneinander angrenzender Wände können die bei scharfen Innenecken auftretenden Spannungen teilweise absorbiert werden. Dadurch können sich jedoch andere Herausforderungen im Design ergeben.
  • Teilegeometrie. Manche Teile sind einfach „formbarer“ als andere. Das Erreichen der richtigen Form, Passgenauigkeit und Funktion hängt von einem soliden Teiledesign ab, das zu einem großen Teil auf den richtigen Eckradien beruht.

Trotz seiner breiten Verwendung in fast allen Industriezweigen ist das Spritzgussverfahren ein komplexer Prozess. Die oben aufgeführten Überlegungen haben bei jedem Teiledesign Einfluss auf den Umfang der erforderlichen Eckradien und deren Wirksamkeit. Dieser Design-Tipp wird Ihnen dabei helfen, jeweils das angemessene Maß zu finden.

Der richtige Radius

Stellen Sie sich vor, Sie entwerfen einen Spritzguss-Koffer für kleine Servomotoren und ähnliche Bauteile für einen Elektronikhersteller. Die erste Entwurfsiteration ergibt einen flachen, unterteilten Koffer, ähnlich einem Gerätekasten mit einer Reihe großer, rechtwinkliger Fächer, die ein Verrutschen des Inhalts während des Transports verhindern sollen. Die Motoren sind relativ schwer für ihre Größe, daher wählen Sie einen zähen, glasfaserverstärkten Nylonwerkstoff für den Koffer und – weil Sie den Inhalt sehen möchten, ohne den Behälter zu öffnen – ein transparentes Acryl für den Deckel.

Leider kommt der Koffer unbrauchbar bei Ihnen an. Der Boden ist verformt und die Wände der einzelnen Fächer sind so verzogen, dass die Motoren entweder nicht hineinpassen oder so sehr verrutschen, dass sie beschädigt werden. Aus diesem Grund sieht der Entwurf für den Koffer scharfe Ecken vor, die beim Spritzgussverfahren jedoch Spannungen erzeugen.

Es gibt zwei Typen von Radien: Innen- und Außenradien. Abrundungsradien sind bei den einzelnen Fächern dort zu finden, wo die Wände den Boden schneiden. Anstelle von scharfen Ecken sollten Radien verwendet werden, die mindestens 0,5 mal der angrenzenden Wandstärke entsprechen.

Dementsprechend wären die Radien am oberen Ende dieser Wände um das Dreifache dieses Wertes abgerundet, entsprächen also dem 1,5-Fachen der Wandstärke der nächstliegenden Wand. Auf diese Weise kann die Kunststoffschmelze leichter fließen und die Restspannung, die zum Verbiegen dünnwandiger Werkstücke führt, fällt weg. Außerdem werden so Risse verhindert, die zu einem vorzeitigen Produktausfälle führen.

Werkstoffauswahl

Entlang der Oberseiten einiger dieser Fächer oder an der Außenseite des Koffers können unter Umständen Lücken auftreten, so als wäre für die Fertigstellung des Teils nicht genügend Kunststoff verfügbar gewesen. Die Verwendung der richtigen Eckradien hilft in diesem Fall häufig weiter, die Ursache kann jedoch auch im Rohmaterial liegen.

Wenn die Kunststoffschmelze durch eine komplizierte Spritzgussform gepresst wird, verhält sie sich nicht wie ein amorpher, unkomplizierter Tropfen. Sie besteht aus langen Molekülketten, die mit benachbarten Molekülen Verbindungen eingehen und sich dagegen sträuben, in enge Kurven gepresst zu werden oder um scharfkantige Merkmale wie Stäbe und Wandschnittpunkte herumfließen zu müssen. Das Ergebnis ist häufig eine kurze Einspritzung. Dabei kann das Material nicht alle Ecken und Enden des Formhohlraums erreichen, wodurch Lücken im fertigen Produkt zurückbleiben.

Selbst wenn das Material vollständig fließt, äußert sich die durch diese molekularen Biegungen und Verdrehungen verursachte Restspannung als Verformung und Verbiegung im Spritzgussteil, besonders bei falsch konzipierten Ecken. Dies gilt insbesondere für glasfaserverstärkte Werkstoffe, da ihre höhere Festigkeit und molekulare Unversehrtheit diese Werkstoffe weniger gefügig für ein reibungsloses Fließen macht als ungefüllte Kunststoffe. Der Wechsel zu einem anderen oder ungefüllten Kunststoff kann helfen, doch ohne den richtigen Formentwurf stellt die Verformung von Teilen selbst bei frei fließenden Werkstoffen wie TPU und TPE (Santoprene) ein Problem dar. Wie bereits erwähnt, sind angemessene Abrundungen sehr hilfreich, um diese Probleme zu vermeiden.

Fertigungsmethoden

Beachten Sie auch, dass maschinelle Bearbeitungsgrenzen dazu führen können, dass diese Empfehlungen auf der Strecke bleiben, weil – sofern keine alternativen Fertigungsmethoden verwendet werden – die Innenecken in einem Formhohlraum nicht kleiner sein dürfen als der Radius der für ihre Herstellung verwendeten Schaftfräse. Auf diese Überlegung wird in Ihrem Protolabs-Angebot deutlich hingewiesen.

Wie sehen diese Fertigungsmethoden aus? Betrachten wir einmal einen anderen Formentwurf, nämlich den für eine Isolierhülse für ein fingerlanges Medizinprodukt. Die „männliche“ Formhälfte ist ein Aluminiumeinsatz, dessen Form einem Stieleis ähnelt. Seine leichten Kurven und Verjüngungen sind einfach zu bearbeiten und sorgen für einen leichten Teileauswurf. Das weibliche Teil der Form, das die Außenseite der Isolierhülse bildet, ist ebenfalls „spritzgussfreundlich“, doch aufgrund seiner Tiefe und seines engen Querschnitts leider nur schwer mit herkömmlichen Verfahren herzustellen.

Das heißt nicht, dass es nicht machbar ist, sondern lediglich, dass es etwas teurer wird. Die elektrische Entladungsbearbeitung, oder kurz EDM, ist ein berührungsloses Verfahren, das Hochspannungsfunken zum Erodieren oder „Wegbrennen“ von Metall nutzt. Sie wird häufig eingesetzt, um Merkmale herzustellen, die auf andere Weise nicht bearbeitet werden können. Für das Verfahren werden Elektroden benötigt. Diese Werkzeuge bestehen in der Regel aus Graphit oder Kupferlegierung und werden als negative Form des zu erodierenden Merkmals hergestellt. Sowohl die Elektrode als auch das Werkstück werden während des EDM-Verfahrens abgenutzt (obwohl die Elektroden deutlich langsamer erodieren), weshalb für die Durchführung der meisten Arbeiten eine Reihe von Werkzeugen hergestellt werden muss.

Formhohlräume wie dieser sind relativ einfach mit dem EDM-Verfahren herzustellen. Doch die Funkenbildung, Umspülung und Umkreisung machen diese Methode für die Expressherstellung in den meisten Fällen unbrauchbar. Aus diesem Grund fertigen viele Formenbauer einschließlich Protolabs anschraubbare Einsätze an, um damit komplizierte Teilegeometrien herzustellen. In unserem Beispiel mit dem Medizinprodukt würde man die verjüngten Abschnitte und abgerundeten Kanten des weiblichen Teils wahrscheinlich in einem CNC-Bearbeitungszentrum fräsen und in einer rechteckigen Tasche in der weiblichen Hälfte des Werkzeugs verschrauben, die ebenfalls aus montierten Komponenten zusammengesetzt werden würde. Beim Elektronikkoffer würde man die Taschen wahrscheinlich mit angeschraubten Aluminiumklötzen mit schmalen Auskehlungen dazwischen formen und so ein Schachbrettmuster bilden, durch das die Kunststoffschmelze fließen kann. In beiden Szenarien sollten für alle Formkomponenten die richtigen Radien (und Formschrägewinkel) verwendet werden, um die Intaktheit des Teils und ein einfaches Auswerfen zu gewährleisten.

Teilegeometrie

Viele Teile profitieren von guten Verrippungen. Nehmen Sie ein dünnes, flaches Stück Polypropylen oder ABS und verdrehen Sie es. Ziemlich einfach, oder? Um die Stärke von Kunststoffteilen zu verbessern, erhöhen Konstrukteure häufig die Wandstärke. Dies kann jedoch zu Einfallstellen, Schwindung und Blasenbildung führen und sollte vermieden werden. Eine bessere Alternative ist die Einführung eines wabenartigen Musters bei dünnen Querschnitten oder eine Reihe kurzer vertikaler Rippen, die in der Richtung der Biegekräfte des Teils ausgerichtet sind. Kunststoffteile werden so steifer und erhalten eine höhere strukturelle Festigkeit. Bei dem Koffer für den Servomotor sollten das Unterteil und der Deckel des Produkts gerippt sein, um es robust und dennoch leicht zu machen und um seinen Inhalt vor allen möglichen Unfällen zu schützen. Vergessen Sie nicht, dass alle Rippenecken, sowohl innen als auch außen, über einen angemessenen Radius verfügen sollten.

Auch wenn all diese Abrundungen für Sie nach viel Aufwand klingen: Keine Sorge, mit den meisten CAD-Systemen sind solche Arbeiten ein Kinderspiel. Protolabs hilft Ihnen, indem in der Machbarkeitsanalyse des Angebots auf potenzielle Problembereiche hingewiesen wird.

Außerdem ist es wichtig festzuhalten, dass Designregeln wie die hier beschriebenen dazu da sind, um gebrochen zu werden. Faktoren wie Rohmaterial, Teilegröße, Geometrie der Merkmale und Produktionsmenge spielen beim Teiledesign eine Rolle. Aus diesem Grund sind eine gründliche DFM-Analyse und der Rat von Experten auf diesem Gebiet ein wichtiger Schritt in jedem Spritzgussprojekt.